1. Was ist für Sie wichtiger: Text oder Bild?

Texte erreichen mich meistens auf der kognitiven Ebene; Bilder haben die Kraft, meine Gefühle anzusprechen. Beides zusammen kann bei mir sehr viel auslösen – auf den Inhalt kommt es an.

2. Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?

Erfolg steht für mich in engem Zusammenhang mit Mut und der Bereitschaft zu scheitern. Wenn ich bereit bin, meine Komfortzone zu verlassen und mich verletzbar zu machen, entdecke ich neue Horizonte. Nicht die Eroberungen, sondern diese Entdeckungen geben mir das Gefühl, erfolgreich zu sein – beruflich und privat. Gemeinsam mit meinen Klientinnen und Klienten gehe ich stets neu auf Entdeckungsreise.

3. An welches Ereignis in Ihrer Karriere erinnern Sie sich am liebsten?

Vor vielen Jahren war ich als neue, unerfahrene Mitarbeiterin in einer Rückversicherung verantwortlich für die Datenakquise zur Berechnung von Risikozahlen. Als mein Chef in einer hektischen Phase um die aktuellen Ergebnisse bat, teilte ich ihm mit, dass mir die Daten einer Abteilung fehlten. Ohne meine Fähigkeiten oder meine Aussage in Frage zu stellen, griff er zum Telefon und bat um die Zahlen. An dieses bedingungslose Vertrauen meines Vorgesetzten erinnere ich mich bis heute. Angemerkt: Aufgrund dieser Interviewfrage habe ich mich nach Jahren mit meinem ehemaligen Chef zum Mittagessen verabredet.

4. Welches war Ihr grösster beruflicher Fehler und welche Lehre haben Sie daraus gezogen?

Ich habe viele Fehler gemacht. Weil ich daraus gelernt habe, betrachte ich sie im Nachhinein kaum mehr als Fehler. Einer meiner grössten Irrtümer war es zu glauben, Fehler vermeiden und stets kompetent erscheinen zu müssen. Diese Haltung führte mich dazu, lange als Fachexpertin zu arbeiten, bevor ich meine wahre Leidenschaft entdeckte: die Arbeit an der Entwicklung von Menschen und Organisationen.

5. Was ist Ihnen im Beruf besonders wichtig?

Es bewegt mich zu sehen, wie Menschen eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu anderen finden. Wenn die Mitglieder einer Gruppe in einen Modus des tiefen Zuhörens kommen, in dem sie ihre Urteile über andere und anderes parkieren. Dann gelingt es, Grenzen zu überwinden, scheinbar Unmögliches wird möglich. Menschen wachsen über ihre eigenen Vorstellungen über sich selbst hinaus. Die Bereitschaft zu lernen und die Offenheit für Neues sind dafür wichtige Voraussetzungen. Mir ist es wichtig, mich selber weiter zu entwickeln, indem ich lerne und offen bleibe für Unerwartetes.

6. Dachten Sie früher, dass Sie einmal das tun werden, was Sie heute tun?

Wenn ich das gedacht hätte, wäre ich vermutlich nicht erst Teilchenphysikerin und später Klimaexpertin geworden, bevor ich mich entschieden habe, Menschen und Prozesse zu begleiten. Ich war lange auf der Suche nach dem, wofür ich auf dieser Welt bin. Heute weiss ich, dass ich auf meinen Umwegen jene Erfahrungen gemacht habe, die mir helfen, Menschen und Organisationen erfolgreich bei ihrer Suche nach neuen Horizonten zu begleiten.

7. Welche Tipps geben Sie Berufseinsteigern?

Es gibt nur einen Weg: deinen eigenen. Frage nicht, was richtig ist, sondern was du als richtig empfindest. Höre auf dein Herz, nicht auf die Ratschläge anderer. Frage nicht, ob du kannst. Frage, ob du willst. Und bleibe stets demütig.

Zur Person
Nicole Werner ist promovierte Physikerin und hat einen Abschluss in Organisationsentwicklung und Coaching. Aktuell bildet sie sich zur Trainerin für Mindful Leadership in Organisationen weiter. Seit dem Jahr 2016 ist sie Inhaberin eines Beratungsunternehmens. Sie unterstützt Führungskräfte, Teams und Organisationen in Entwicklungsprozessen. Dazu gehören Einzel- und Teamcoachings ebenso wie das Begleiten von organisationalen Veränderungsprozessen. Zunehmend im Vordergrund stehen die Themen nächste Generation(en) und neue Organisationsformen sowie Mindful Facilitation. Nicole Werners Arbeit steht stets unter der Prämisse, dass sie nicht die beste Lösung kennt, sondern «nur» die Strukturen schafft, in denen ihre Klientinnen und Klienten selbstgesteuert ihre eigenen Lösungen co-kreieren.