Dialogische Führung

DIALOGISCHE FÜHRUNG

VON WILLIAM N. ISAACS

ursprünglich veröffentlicht im Februar 1999 in
The Systems Thinker, Pegasus Communications
Übersetzt und überarbeitet von Nicole Werner mit Unterstützung von DeepL.com

Als Monsanto und American Home Products ihre geplante Fusion 1998 auflösten, lag das nicht an mangelnden strategischen oder marktbezogenen Synergien oder an der Einmischung der Regulierungsbehörden. Einem Bericht der New York Times zufolge scheiterte das Geschäft “an einem unüberwindbaren Machtkampf zwischen den Vorsitzenden der beiden Unternehmen. . .” (The New York Times, 14. Oktober 1998).

Pannen in der menschlichen Interaktion und Kommunikation spielen eine zentrale Rolle im Organisationsleben. Im Fall von Monsanto und American Home Products hatten die CEOs der beiden Unternehmen sehr unterschiedliche Führungsansätze. Der eine verbrachte seine Mittagspause damit, mit den Mitarbeitern Basketball zu spielen. Der andere weigerte sich, in den neuen Hauptsitz des Unternehmens umzuziehen, und zog es vor, mit den wichtigsten Mitarbeitern per E-Mail in Kontakt zu bleiben. Die beiden Führungskräfte begannen allmählich, die Motive und Schritte des anderen in Frage zu stellen. Als zum Beispiel einer der beiden Vorsitzenden einen Kandidaten für den Posten des Finanzvorstands vorschlug, verbreitete der andere ein Memo, in dem er behauptete, dass dieser Mann die Stelle niemals ausfüllen würde. Jeder hatte das Gefühl, dass der andere ihn und das Unternehmen untergrub. Sie erwiesen sich schließlich als unfähig, zusammenzuarbeiten, und die Fusion scheiterte.

Manchmal zeigen auch scheinbar erfolgreiche Fusionen schnell Anzeichen von Belastung. Acht Monate nach ihrem Zusammenschluss entließ die Citigroup, der neue Zusammenschluss von Travelers Group und Citicorp, James Dimon, den Mann, der als Friedensstifter zwischen den beiden Co-Chefs des Unternehmens fungierte und als dessen Erbe angesehen wurde. Dimon war weithin geachtet; sein Abgang war nicht auf schlechte Leistungen zurückzuführen, sondern, wie ein Manager es ausdrückte, auf “Unternehmenspolitik”.

Später befragte Führungskräfte sagten, dass der zusammengebrochene Deal zwischen Monsanto und American Home Products “nicht im besten Interesse der Aktionäre” gewesen sei und dass Dimons überraschender Abgang “das Beste für das Unternehmen war”, doch diese Art von Gerede verdeckt ehrlichere Berichte über die Geschehnisse. Berichten zufolge gerieten die Führungskräfte in jeder dieser Situationen in unangenehme Konflikte über eine Reihe von Sachfragen: die letztendliche Kontrolle in einem “Co-CEO”-Szenario, die Mitgliedschaft in wichtigen Führungsteams und der Zeitplan für die Integration unterschiedlicher Kulturen und Geschäftsbereiche. Letztendlich gelang es diesen Personen nicht, einen Weg zu finden zu reden und effektiv zusammenzudenken, um diese schwierigen Fragen zu lösen.

Auch wenn wir nicht alle mit angespannten oder gescheiterten milliardenschweren Unternehmensfusionen zu tun haben, sind wir wahrscheinlich mit solchen Kommunikations- und Vertrauensschwierigkeiten und deren dramatischen Auswirkungen auf die Unternehmensleistung vertraut. Wie können wir also ein Umfeld schaffen, in dem diese Schwierigkeiten in Erfolge umgewandelt werden können?

In diesem Artikel wird untersucht, wie “dialogische Führung”, ein Ansatz, der sich aus den Kernprinzipien des “Dialogs” entwickelt hat, zur Schaffung von Umgebungen führen kann, die die Fragmentierung auflösen und die kollektive Weisheit der Menschen zum Vorschein bringen.

Vier Handlungsfähigkeiten für dialogische Führungspersönlichkeiten

Die vier oben erwähnten Qualitäten einer dialogischen Führungskraft spiegeln sich in vier verschiedenen Arten von Handlungen wider, die eine Person in jedem Gespräch ausführen kann. Diese Handlungen wurden von David Kantor, einem bekannten Familiensystemtherapeuten, identifiziert. Kantor geht davon aus, dass manche Menschen bewegen (move) – sie initiieren Ideen und geben die Richtung vor. Andere folgen (follow) – sie vervollständigen das Gesagte, helfen anderen, ihre Gedanken zu klären, und unterstützen das Geschehen. Wieder andere stellen infrage (oppose) – sie stellen das Gesagte in Frage und hinterfragen seine Gültigkeit. Und wieder andere beobachten (bystand) – sie nehmen aktiv wahr, was vor sich geht, und geben einen Einblick in das Geschehen.

In jedem Gespräch gibt es Menschen, die etwas bewegen, d.h. die Ideen einbringen. Andere folgen – sie ergänzen das Gesagte und unterstützen das Geschehen. Wieder andere stellen infrage – sie stellen das Gesagte in Frage. Und wieder andere beobachten – sie bieten eine Perspektive auf das, was geschieht.

Die Beobachtung der Handlungen von Menschen kann einem enorme Informationen über die Qualität ihrer Interaktionen geben und darauf hinweisen, ob sie sich in Richtung eines Dialogs oder einer Diskussion bewegen. In einem dialogischen System kann jede Person zu jeder Zeit eine der vier Aktionen ausführen, auch wenn sie eine bevorzugte Position einnimmt, kann sich jede Person bewegen und initiieren, dem Verlauf folgen und abschließen, infrage stellen und sich widersetzen sowie beobachten und eine Perspektive einnehmen. In dem Maße, in dem die Menschen diese verschiedenen Rollen erkennen und entsprechend handeln können, beginnen sie, eine Abfolge von Interaktionen zu schaffen, die das Gespräch im Gleichgewicht hält.

In einem System, das sich vom Dialog wegbewegt, bleiben die Menschen im allgemeinen in einer der vier Positionen stecken. So gibt es Menschen, die bewegen wollen, jedoch feststecken: Sie äußern eine Idee, und bevor sie sich durchsetzen oder auf die Idee reagiert wurde, äußern sie eine andere und noch eine andere, so dass es schwierig ist, sich auf etwas zu konzentrieren. Am aufschlussreichsten für nicht-dialogische Interaktionen sind jedoch die ritualisierten und sich wiederholenden Interaktionen, bei denen Menschen systematisch eine oder mehrere Positionen ausschließen.

Im Fusionsprozess von Monsanto beispielsweise gerieten die beiden Vorstandsvorsitzenden in eine Dynamik, in der der eine eine Maßnahme einleitete, die der andere ablehnte und neutralisierte, was den anderen dazu veranlasste, noch härter zurückzuschlagen. Der Konflikt eskalierte schließlich so weit, dass er das Geschäft sabotierte.

Ein solcher intensiver Zyklus zwischen zwei leistungsstarken Akteuren hindert die anderen oft daran, ihre Rolle als “Beobachter” und “Folgenden” zu erfüllen. Die Beobachter, die den ineffektiven Austausch sehen können, werden oft “behindert” und glauben, dass niemand will, dass sie erkennen, was geschieht. So geht das Wissen, das sie mitbringen, verloren. Gleichzeitig neigen Menschen, die sonst geneigt wären, der einen oder anderen Seite zu folgen, um das Gesagte zu vervollständigen, dazu, am Rande zu bleiben, aus Angst, ins Kreuzfeuer zu geraten. Das Ergebnis ist, dass die Interaktion unausgewogen bleibt.

Die Qualität und Art der spezifischen Rollen kann oft zu Schwierigkeiten führen. Zum Beispiel werden jene, die infrage stellen, im allgemeinen als Störenfriede gebrandmarkt, weil sie die vorherrschende Weisheit hinterfragen, obwohl andere lieber eine Einigung hätten. Aus diesem Grund werden sie von anderen oft ausgegrenzt. Die Tatsache, dass der Wert der Perspektive des Gegners nicht anerkannt wird, führt dazu, dass er seine Stimme erhebt und manchmal den kritischen Ton seiner Kommentare verstärkt. In solchen Fällen hört man die Kritik, aber nicht die eigentliche Absicht, die fast immer darin besteht, die Situation zu klären, zu korrigieren oder für Ausgewogenheit und Integrität zu sorgen.

Eine dialogische Führungskraft wird oft nach Möglichkeiten suchen, das Gleichgewicht in den Interaktionen zwischen den Menschen wiederherzustellen. Sie könnte zum Beispiel die Gegenseite stärken, wenn sie schwach ist, oder die Umstehenden stärken, wenn sie über Informationen verfügt, diese aber zurückgehalten hat. Wenn man jemandem, der etwas in Frage stellen will, wirklich Raum gibt, wird sein Tonfall milder und andere können ihm eher zuhören, wenn er etwas zu sagen hat. Denjenigen, die über heikle, aber lebenswichtige Informationen verfügen, zu unterstützen und ihnen beizustehen, kann sie dazu befähigen, diese preiszugeben: Achten Sie auf die fehlenden Handlungen und bringen Sie sie selbst ein oder ermutigen Sie andere, dies zu tun.

Abwägung zwischen Befürwortung und Erkundung

Eine zentrale Dimension eines Dialogs ist das Entstehen eines bestimmten Gleichgewichts zwischen den Positionen, die Menschen vertreten, und ihrer Bereitschaft, ihre eigenen und die Ansichten anderer zu hinterfragen. Die Professoren Chris Argyris und Don Schön schlugen erstmals die Begriffe «Advocacy” (i.S.v. Befürwortung / Eintreten für etwas) und “Inquiry” (i.S.v. Erkundung / Nachfragen) vor, um lernfördernde Gespräche zu fördern (eine ausführlichere Erklärung finden Sie in ihrem Buch Organizational Learning, Addison-Wesley, 1978). In der überwiegenden Mehrheit der Situationen überwiegt die Befürwortung: Die Menschen sind darauf trainiert, ihre Ansichten so schnell wie möglich zu äußern, wie es manchmal heißt: “Die Menschen hören nicht zu, sie laden nach”, sie schreiben Bedeutung zu und unterstellen Motive, oft ohne nachzuforschen, was andere wirklich gemeint oder beabsichtigt haben. Dies war in den oben beschriebenen Fusionssituationen offensichtlich der Fall. Streitlustiges Eintreten verhindert Nachfragen und Lernen.

Das Vier-Rollen-Modell verdeutlicht die Beziehung zwischen Befürwortung und Erkundung (siehe Abbildung “Balancieren von Befürwortung und Erkundung”): Um gut zu befürworten, muss man sich bewegen und gut infrage stellen; um zu erkunden, muss man beobachten und folgen können. Auch hier gilt, dass das Fehlen eines der Elemente die Interaktion behindert. Jemand, der zwar infrage stellt, aber nicht sagt, was er will (d. h. sich bewegt), ist als Fürsprecher wahrscheinlich weniger effektiv. Ähnlich verhält es sich mit jemandem, der dem folgt, was andere sagen (“erzähl mir mehr”), aber nie eine Perspektive einbringt.

Diese Abbildung zeigt eine weitere Möglichkeit, das Geschehen in einem Gespräch zu verfolgen und für Ausgewogenheit zu sorgen. Um zu befürworten, muss man bewegen und gut infrage stellen; um zu erkunden, muss man gut beobachten und folgen.

Die Abbildung “Balancieren von Fürsprache und Nachfragen” zeigt eine weitere Möglichkeit, das Geschehen in einem Gespräch zu verfolgen und für Ausgewogenheit zu sorgen.

Vier Praktiken für dialogische Führung

Ausgewogenes Handeln in dem hier genannten Sinne ist eine wesentliche und notwendige Vorbedingung für den Dialog. Aber es ist nicht ausreichend. Der Dialog ist eine qualitativ andere Art des Austauschs. Dialogische Führungskräfte haben ein Gespür für diesen Qualitätsunterschied und sind ständig bestrebt, ihn bei sich selbst und anderen zu erzeugen. Ich habe festgestellt, dass es vier verschiedene Praktiken gibt, die die Qualität von Gesprächen verbessern können, und diese vier entsprechen den vier oben genannten Positionen.

Sie können sich beispielsweise auf unterschiedliche Weise bewegen: indem Sie Ihre wahre Stimme zum Ausdruck bringen und andere dazu ermutigen, dasselbe zu tun, oder indem Sie anderen Ihre Ansichten aufzwingen; Sie können mit der Überzeugung infrage stellen, dass Sie es besser wissen als alle anderen, oder aus einer Haltung des Respektierens heraus, in der Sie anerkennen, dass Ihre Kolleg:innen Weisheit besitzen, die Sie vielleicht nicht sehen. In ähnlicher Weise können Sie zuhören, indem Sie selektiv zuhören und Ihre Interpretation der Ausführungen der Sprecherin aufzwingen. Oder Sie können als mitfühlende Teilnehmerin zuhören und Ihr Verständnis des Gesagten auf direkt beobachtbare Erfahrungen gründen. Und schließlich können Sie beobachten, indem Sie den Standpunkt vertreten, dass nur Sie die Dinge so sehen können, wie sie sind, oder Sie können innehalten, Ihre Gewissheiten suspendieren und akzeptieren, dass andere vielleicht Dinge sehen, die Sie übersehen. Um bewusste Entscheidungen über unser Verhalten treffen zu können, müssen wir uns unserer eigenen Absichten und der Auswirkungen unseres Handelns auf andere bewusst werden.

Dies beinhaltet vier Praktiken: die eigene Stimme erheben und andere dazu ermutigen, dasselbe zu tun; als Teilnehmerin zuhören; die Kohärenz der Ansichten anderer respektieren; und innehalten, die eigenen Gewissheiten zurückstellen. Jede von ihnen erfordert eine bewusste Kultivierung und Entwicklung (siehe Abbildung “Vier Praktiken für dialogische Führung»).

Zuhören. Kürzlich sagte ein Manager in einem von mir geleiteten Programm: “Wissen Sie, ich habe mich immer darauf vorbereitet zu sprechen, aber ich habe mich nie darauf vorbereitet zuzuhören. Das liegt daran, dass wir das Zuhören für selbstverständlich halten, obwohl es eigentlich sehr schwer ist. Um gut folgen zu können, müssen wir die Fähigkeit des Zuhörens kultivieren – und nicht einfach dem, was andere Menschen sagen, eine Bedeutung beimessen. Um tief folgen zu können, müssen wir uns so weit auf jemanden einlassen, dass wir verstehen, wie er oder sie versteht. Wenn wir nicht zuhören, haben wir nur unsere eigene Interpretation.

Genauso wichtig ist die Fähigkeit, gemeinsam zuzuhören. Gemeinsam zuzuhören bedeutet, zu lernen, Teil eines größeren Ganzen zu sein – die Stimme und die Bedeutung, die nicht nur von mir, sondern von uns allen ausgeht. Dialoge haben oft die Qualität eines gemeinsamen Auftauchens, bei dem die Menschen beim gemeinsamen Sprechen erkennen, dass sie über dieselben Dinge nachgedacht haben. Sie sind erstaunt, wenn sie ihre eigenen Gedanken aus den Mündern der anderen heraushören. Oftmals müssen keine Entscheidungen getroffen werden, sondern der richtige nächste Schritt ist für alle offensichtlich… Diese Art von Flow ist zwar selten, wird aber möglich, wenn wir uns von unseren eigenen Gedanken lösen und auf die Gedanken der anderen hören. In dieser Situation beginnen wir nicht nur einander zu folgen, sondern auch dem entstehenden Fluss der Bedeutung selbst.

Respektieren. Respektieren ist die Praxis, die die Qualität unseres Gegenübers verändert. Respektieren bedeutet, die Menschen, wie Humberto Maturana es ausdrückt, als “legitime Andere” zu sehen. Eine Atmosphäre des Respektierens ermutigt die Menschen, nach dem Sinn in dem zu suchen, was andere sagen und denken. Respektieren bedeutet, auf die Kohärenz ihrer Ansichten zu achten, selbst wenn wir das, was sie sagen, für inakzeptabel halten.

Peter Garrett, ein Kollege von mir, führt seit vier Jahren Dialoge in Hochsicherheitsgefängnissen in England durch. Er hat wöchentlich mit den schwersten Gewalttätern des Landes zu tun, und gemeinsam haben sie einige bemerkenswerte Ergebnisse erzielt. So kommen zum Beispiel Gefangene, die sonst an keiner Sitzung teilnehmen, zum Dialog. Straftäter, die anfangs unverständlich sprechen und tiefe emotionale Wunden haben, lernen allmählich, ihre Stimme zu erheben und zuzuhören. Peter verfügt über eine ungewöhnliche Fähigkeit des Respektierens, die die Aufrichtigkeit in anderen bestätigt und stärkt. Diese Haltung ermöglicht es ihm, das, was sie sagen, in Frage zu stellen und zu widersprechen, ohne Reaktionen hervorzurufen. Ich bat ihn, mir die wichtigste Lektion mitzuteilen, die er in seiner Arbeit gelernt hat. Er sagte: «Erkundendes Nachfragen und Gewalt können nicht nebeneinander bestehen».

Vier Praktiken können die Qualität von Gesprächen verbessern: sich äußern und andere dazu ermutigen, dasselbe zu tun; als Teilnehmer:in zuhören; die Kohärenz der Ansichten anderer respektieren; und innehalten, die eigenen Gewissheiten zurückstellen.

Innehalten. Wenn wir jemandem beim Reden zuhören, stehen wir vor einer wichtigen Entscheidung. Wir können versuchen, die andere Person dazu zu bringen, die “richtige” Sichtweise der Dinge zu verstehen und zu akzeptieren. Wir können nach Beweisen suchen, um unsere Ansicht zu untermauern, dass sie sich irrt, und Beweise außer Acht lassen, die auf Fehler in unserer eigenen Logik hindeuten könnten.

Andererseits können wir lernen innezuhalten, unsere Meinung und die Gewissheit, die dahinter steckt zu suspendieren. Suspendieren oder Innehalten bedeutet, dass wir weder unterdrücken, was wir denken, noch es mit einseitiger Überzeugung verteidigen. Wir nehmen unsere Gedanken und Gefühle einfach zur Kenntnis und beobachten sie, wenn sie auftauchen, ohne uns gezwungen zu fühlen, danach zu handeln. Diese Praxis kann eine enorme Menge an schöpferischer Energie freisetzen. Innehalten bedeutet, bewusst zu verharren, was es uns ermöglicht, das Geschehen objektiver zu sehen.

In einem unserer Gespräche mit Stahlarbeitern und Managern sagte beispielsweise ein Gewerkschaftsführer: “Wir müssen das Wort Gewerkschaft suspendieren. Wenn Sie es hören, sagen Sie ‘Igitt’. Wenn wir es hören, sagen wir ‘Ah’. Warum ist das so?” Diese Aussage löste ein ungeahntes Maß an Reflexion zwischen Managern und Gewerkschaftern aus. Unsere Untersuchungen legen nahe, dass das Innehalten eine von mehreren Praktiken ist, die für einen echten Dialog unerlässlich sind.

Äußern. Schließlich ist das Äußern der eigenen Stimme vielleicht einer der schwierigsten Aspekte dialogischer Führung. “Mutige Rede”, sagt der Dichter David Whyte in seinem Buch The Heart Aroused, “hat uns immer in Ehrfurcht versetzt”. Er meint, dass dies so ist, weil es unser Innenleben so offenbart. Das Äußern der eigenen Stimme hat damit zu tun, dass wir offenbaren, was für jeden von uns wahr ist, unabhängig von allen anderen Einflüssen, die auf uns einwirken könnten.
Im Dezember 1997 saß eine Gruppe hochrangiger russischer und tschetschenischer Beamter mit ihren Gästen an einem überfüllten Tisch im Präsidentenpalast in Tatarstan, Russland, mitten beim Abendessen. Zuvor war die Lage angespannt gewesen. Tschetschenien hatte kürzlich seine Unabhängigkeit durch einen Guerillakrieg und Angriffe auf die Russen behauptet. Sie hatten die Welt schockiert, indem sie das russische Militär zwangen, sich zurückzuziehen und ihren Forderungen nach Anerkennung als unabhängiger Staat nachzukommen. Die Tschetschenen misstrauten den Akademikern und westlichen Politikern, die alle in diesem Raum versammelt waren, zutiefst; die Tschetschenen befürchteten, dass sie russische Handlanger waren, die die Unabhängigkeit Tschetscheniens verhindern wollten. Die Russen fürchteten ihrerseits, einer ihrer Meinung nach äußerst beunruhigenden Situation weitere Legitimität zu verleihen.

Beim ersten Trinkspruch des Abends stand der Verhandlungsführer/Moderator der Sitzung auf und sagte: “Bis vor ein paar Tagen war ich bei meiner Mutter in New Mexico in den USA. Sie liegt an Krebs im Sterben. Ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt hierher kommen soll, um an dieser Versammlung teilzunehmen. Aber als ich ihr sagte, dass ich kommen würde, um an diesem wichtigen Ort der Erde einen Dialog zwischen Ihnen allen zu ermöglichen, befahl sie mir zu kommen. Es gab keine Debatte. Also bin ich hier. Ich erhebe mein Glas auf die Mütter.” Es folgte ein langer Moment der Stille im Saal.

Es sind mutige Momente wie diese, in denen die eigene Stimme wirklich gehört wird. Äußerungen von solch tiefgreifender Direktheit können uns aus uns selbst herausheben. Sie zeigen uns einen breiteren Horizont und rücken die Dinge ins rechte Licht. Solche Momente erinnern uns auch an unsere Widerstandsfähigkeit und laden uns ein, stärker nach einem Weg durch die Schwierigkeiten zu suchen, mit denen wir konfrontiert sind: Wenn wir uns “bewegen”, indem wir unsere authentische Stimme sprechen, setzen wir eine neue Ordnung der Dinge in Gang, eröffnen neue Möglichkeiten und schaffen.

Die Qualität des Handelns verändern

Dialogische Führungskräfte kultivieren diese vier Dimensionen – Zuhören, Respektieren, Innehalten, und Äußern – in sich selbst und in den Gesprächen, die sie mit anderen führen. Dadurch verändert sich die Qualität der Interaktion spürbar und damit auch die Ergebnisse, die Menschen erzielen. Wenn wir das nicht tun, verengt sich unser Blick und wir sind blind für Alternativen, die allen dienen könnten.
In der Geschichte über die Monsanto-Fusion beispielsweise schienen die CEOs die Kohärenz der Ansichten des jeweils anderen nicht zu respektieren. Jeder fand den anderen mehr und mehr inakzeptabel. Das Paradoxe daran ist, dass das Suspendieren der eigenen Ansichten und das Zulassen der Möglichkeit, dass die Sichtweise des anderen eine gewisse Berechtigung haben könnte, eine Tür öffnen könnte, die sonst verschlossen wäre. Indem sie sich auf ein starres Handlungsschema festlegten, schlossen diese Führungskräfte einen qualitativ anderen Ansatz aus – einen Ansatz, den sie hätten wählen können, wenn sie die vier oben beschriebenen dialogischen Praktiken angewandt hätten.

Dialogische Führung lenkt die Aufmerksamkeit auf zwei Ebenen gleichzeitig: auf die Art der Handlungen, die Menschen während einer Interaktion ausführen, und auf die Qualität dieser Interaktionen. Kantors Modell ist ein wirksames Hilfsmittel, um die fehlende Ausgewogenheit der Handlungen in jedem Gespräch zu diagnostizieren. Indem Sie bemerken, welche Perspektive fehlt, können Sie darüber nachdenken, warum dies so ist, und schnell wertvolle Informationen über die Situation als Ganzes gewinnen.

Dialogische Führung kann überall und auf jeder Ebene einer Organisation passieren: Wenn Menschen die oben beschriebenen Prinzipien anwenden, lernen sie, gemeinsam zu denken, und erhöhen so die Wahrscheinlichkeit, dass sie die weitreichenden Beziehungen aufbauen, die für den Erfolg im neuen Miteinander erforderlich sind.

7 Fragen an Nicole Werner – Veröffentlich auf www.etextera.ch am 26. 6. 2018

1. Was ist für Sie wichtiger: Text oder Bild?

Texte erreichen mich meistens auf der kognitiven Ebene; Bilder haben die Kraft, meine Gefühle anzusprechen. Beides zusammen kann bei mir sehr viel auslösen – auf den Inhalt kommt es an.

2. Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?

Erfolg steht für mich in engem Zusammenhang mit Mut und der Bereitschaft zu scheitern. Wenn ich bereit bin, meine Komfortzone zu verlassen und mich verletzbar zu machen, entdecke ich neue Horizonte. Nicht die Eroberungen, sondern diese Entdeckungen geben mir das Gefühl, erfolgreich zu sein – beruflich und privat. Gemeinsam mit meinen Klientinnen und Klienten gehe ich stets neu auf Entdeckungsreise.

3. An welches Ereignis in Ihrer Karriere erinnern Sie sich am liebsten?

Vor vielen Jahren war ich als neue, unerfahrene Mitarbeiterin in einer Rückversicherung verantwortlich für die Datenakquise zur Berechnung von Risikozahlen. Als mein Chef in einer hektischen Phase um die aktuellen Ergebnisse bat, teilte ich ihm mit, dass mir die Daten einer Abteilung fehlten. Ohne meine Fähigkeiten oder meine Aussage in Frage zu stellen, griff er zum Telefon und bat um die Zahlen. An dieses bedingungslose Vertrauen meines Vorgesetzten erinnere ich mich bis heute. Angemerkt: Aufgrund dieser Interviewfrage habe ich mich nach Jahren mit meinem ehemaligen Chef zum Mittagessen verabredet.

4. Welches war Ihr grösster beruflicher Fehler und welche Lehre haben Sie daraus gezogen?

Ich habe viele Fehler gemacht. Weil ich daraus gelernt habe, betrachte ich sie im Nachhinein kaum mehr als Fehler. Einer meiner grössten Irrtümer war es zu glauben, Fehler vermeiden und stets kompetent erscheinen zu müssen. Diese Haltung führte mich dazu, lange als Fachexpertin zu arbeiten, bevor ich meine wahre Leidenschaft entdeckte: die Arbeit an der Entwicklung von Menschen und Organisationen.

5. Was ist Ihnen im Beruf besonders wichtig?

Es bewegt mich zu sehen, wie Menschen eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu anderen finden. Wenn die Mitglieder einer Gruppe in einen Modus des tiefen Zuhörens kommen, in dem sie ihre Urteile über andere und anderes parkieren. Dann gelingt es, Grenzen zu überwinden, scheinbar Unmögliches wird möglich. Menschen wachsen über ihre eigenen Vorstellungen über sich selbst hinaus. Die Bereitschaft zu lernen und die Offenheit für Neues sind dafür wichtige Voraussetzungen. Mir ist es wichtig, mich selber weiter zu entwickeln, indem ich lerne und offen bleibe für Unerwartetes.

6. Dachten Sie früher, dass Sie einmal das tun werden, was Sie heute tun?

Wenn ich das gedacht hätte, wäre ich vermutlich nicht erst Teilchenphysikerin und später Klimaexpertin geworden, bevor ich mich entschieden habe, Menschen und Prozesse zu begleiten. Ich war lange auf der Suche nach dem, wofür ich auf dieser Welt bin. Heute weiss ich, dass ich auf meinen Umwegen jene Erfahrungen gemacht habe, die mir helfen, Menschen und Organisationen erfolgreich bei ihrer Suche nach neuen Horizonten zu begleiten.

7. Welche Tipps geben Sie Berufseinsteigern?

Es gibt nur einen Weg: deinen eigenen. Frage nicht, was richtig ist, sondern was du als richtig empfindest. Höre auf dein Herz, nicht auf die Ratschläge anderer. Frage nicht, ob du kannst. Frage, ob du willst. Und bleibe stets demütig.

Zur Person
Nicole Werner ist promovierte Physikerin und hat einen Abschluss in Organisationsentwicklung und Coaching. Aktuell bildet sie sich zur Trainerin für Mindful Leadership in Organisationen weiter. Seit dem Jahr 2016 ist sie Inhaberin eines Beratungsunternehmens. Sie unterstützt Führungskräfte, Teams und Organisationen in Entwicklungsprozessen. Dazu gehören Einzel- und Teamcoachings ebenso wie das Begleiten von organisationalen Veränderungsprozessen. Zunehmend im Vordergrund stehen die Themen nächste Generation(en) und neue Organisationsformen sowie Mindful Facilitation. Nicole Werners Arbeit steht stets unter der Prämisse, dass sie nicht die beste Lösung kennt, sondern «nur» die Strukturen schafft, in denen ihre Klientinnen und Klienten selbstgesteuert ihre eigenen Lösungen co-kreieren.

6 Trends für die Arbeit der Zukunft

Projektarbeit, Social Software und veränderte Arbeitsbeziehungen: Das Trendbüro hat untersucht, worauf sich Führungskräfte einstellen müssen.

Von 

Routine, Schichtarbeit, feste Arbeitszeiten: Das Industriezeitalter hält die Gestaltung der Arbeitswelt noch immer fest im Griff. Langsam ändert sich das. Die Firma Trendbüro, ein Beratungsunternehmen für gesellschaftlichen Wandel, hat im Auftrag des bso Verband Büro-, Sitz- und Objektmöbel die Studie “New Work Order” erstellt. Die Forscher haben die Trends in der Arbeitswelt analysiert. Wir werden uns ganz schön umstellen müssen.

Den größten Einfluss hat Social MediaEs verändert den Konsumenten und damit auch die Unternehmen. “Die Kunden agieren bereits souveräner und geben direkt Feedback über Produkte”, sagt Birgit Gebhardt, Ex-Direktorin des Trendbüros. Diese Transparenz in der Beurteilung wirkt sich auf die Unternehmen aus. Eigentlich müssten Firmen genauso schnell und vor allem dynamischer reagieren. In alten Strukturen ist das aber schwer. “Die Kunden kommunizieren schneller und inhaltsfokussierter als Unternehmen das leisten können”, sagt Gebhardt. “In den Unternehmen behindern komplexe Hierarchien den Informationsfluss.” Ein Wandel ist also dringend nötig.

“Share and Win”

Grundsätzlich muss sich die Kommunikation ändern, denn die spielt die größte Rolle, so die Studie des Trendbüros. Die “Digital Natives” sind es ohnehin schon gewohnt, ihr Wissen und ihre Meinungen zu teilen. “Share and Win”, nennt das Trendbüro diesen Vorgang. Die Kommunikation wird viel stärker virtuell ablaufen, vor allem über unternehmensinterne Social Media Plattformen. Sie wirken sich auf den Arbeitsplatz, das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer, das Arbeitsumfeld und die Produktivität aus. Diese sechs Trends werden in Zusammenhang mit “Share and Win” kommen.

1. Mehr Projektarbeit

Schon jetzt verbringen Angestellte mehr als ein Drittel ihrer Arbeitszeit mit Projektarbeit. Mitarbeiter werden nicht mehr in einem festen Aufgabenbereich eingesetzt, sondern arbeiten auf Projektbasis. Immer wieder arbeiten sie in neuen Teams mit anderen Kollegen, wo ihr Fachwissen gezielt eingesetzt werden kann. “Besonders Wissensarbeiter betrifft das”, sagt Gebhardt. “Deren Standardtätigkeiten werden immer mehr abnehmen.” Das besorgt oft Führungskräfte, die einen Kontrollverlust fürchten.

Dieser Trend wird sich noch verstärken: Die Zukunft ist projektorientiert. Aber die Unternehmen sind darauf noch nicht eingestellt. “Die überkommenen Silo-Strukturen müssen aufgebrochen werden”, glaubt Gebhardt. “Wir müssen flexibler werden.” Das betrifft vor allem die Organisation der Mitarbeiter. “Die Teams werden sich selbstständiger organisieren, um eigenverantwortlicher und ergebnisorientierter arbeiten zu können”, sagt die Trendforscherin.

2. Neue Mitarbeiterkultur

Der Trend geht zur Projektarbeit. 
Der Trend geht zur Projektarbeit.
Foto: Birgit Gebhardt

Mitarbeiter werden in Zukunft freier im Unternehmen tätig sein, vermittelt durch eine unternehmenseigene “Talent Cloud”. Sie geben in Profilen ihre Talente und Fähigkeiten an. Führungskräfte stellen aus dem Talentpool Mitglieder für die Teams zusammen. “Bei IBM passiert das schon jetzt: Die Abteilungen buchen sich Experten aus dem Unternehmen dazu”, so Gebhardt. Ähnliches zeigen soziale Netzwerke wie LinkedIn, sagt die Direktorin des Trendbüros. Mitarbeiter fordern von ihren Vorgesetzten mehr Referenzen ein, die sie entweder in unternehmenseigenen Talent Clouds oder extern präsentieren. Das wirkt sich auch auf die Arbeitswelt aus.

Das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird sich ändern. Flexible Wissensarbeiter werden, glaubt Gebhardt, nicht mehr bereit sein, auf interessante Projekte zu warten und Durststrecken mit langweiligen Arbeiten zu überbrücken. Sie wollen und müssen ständig dazu lernen und fordern spannende Tätigkeiten. Die Beziehung zwischen Vorgesetzten und Angestellten wird eher zu einem partnerschaftlichen Austausch. Die Mitarbeiter fühlen sich so eher als freie Mitarbeiter.

3. Neue Aufgaben für Führungskräfte

Das fordert die Führungskräfte. Sie müssen dafür sorgen, dass sich die Mitarbeiter stärker ans Unternehmen gebunden fühlen. “Führungskräfte müssen mehr Team-bildende Events veranstalten”, sagt Gebhardt. Sonst wandern die besten irgendwann ab. Entscheider werden also auch eine Art Mentoring-Rolle einnehmen müssen. Zudem müssen sie dafür sorgen, dass Socialising nicht zu kurz kommt. Wer seine Kollegen und Vorgesetzten schätzt und sich wohl fühlt, wechselt nicht so schnell den Arbeitgeber. Die physische Anwesenheit ist immer noch sinnvoll, um zu netzwerken. Die Architektur des Arbeitsplatzes hat darauf maßgebliche Auswirkungen.

4. Neue Architektur: Kein Abgesang aufs Büro

Projektarbeit braucht “open spaces”, keine Einzelzellen. Schon jetzt haben laut Umfrage 29,3 Prozent der befragten Unternehmen eigene Räume ausschließlich für die Projektarbeit eingerichtet. Und eigentlich braucht man das Büro nicht mehr als den Ort, wo das technische Equipment für die Arbeit vorhanden ist. Viel eher nutzen Angestellte sie als Ort der Vernetzung. “Jedes Unternehmen muss für sich selbst entscheiden, für welche Arbeitskultur es stehen will”, sagt die Direktorin. Natürlich wird es in einigen Abteilungen Einzelbüros geben. “Ganz abschaffen wird man Einzelräume nicht, bei vertraulichen Gesprächen sind sie sinnvoll.” Auch als Konzentrationsräume seien sie einsetzbar. Klar ist, dass sich die Arbeitsplätze grundlegend wandeln werden.

Einige Unternehmen nutzen schon jetzt Social Software.  

Einige Unternehmen nutzen schon jetzt Social Software.
Foto: Birgit Gebhardt

“Die bisher rein funktionale Raumgestaltung greift allerdings zu kurz”, glaubt Gebhardt. Menschen verhalten sich entsprechend ihrer Umgebung. Das müsste die Architektur und Gestaltung viel stärker nutzen, um den Mitarbeiter für den jeweils ‘richtigen’ Arbeitsmodus zu stimulieren. “Arbeiten kann man überall”, sagt Gebhardt, “und man wird es dort tun, wo es am schnellsten und besten geht – und es den meisten Spaß bringt”.

Das Büro der Zukunft bringt seine Mitarbeiter über soziale Vernetzung und assoziatives Mood-Management in den perfekten Arbeitsmodus. Nicht so einfach, denn die Arbeitsformen sind schon jetzt sehr individuell: Ob Home Office oder nachts arbeitend, das können viele schon jetzt entscheiden, solange die Informationen weitergebeben werden und Prozesse transparent sind. Hier kommt der nächste Trend ins Spiel, der die Unternehmenskultur wohl am stärksten verändern wird: Unternehmenseigene Social Media.

5. Unternehmensinterne Social Software

Ob Micro-Blogging, interne Wikis oder unternehmensinterne Social Media Plattformen, wie sie Continental schon jetzt nutzt, stehen an. Die Studie ergab, dass sich 35,8 Prozent der befragten Unternehmen mit Web2.0 und Social Software beschäftigten. Teilweise entstünden diese auch von allein: Sie werden im Intranet von Mitarbeitern angelegt und weiter ausgebaut. Wissen-Bunkern war gestern: Micro-Blogging ist der neue Trend.

Es erleichtert den Zugang zu Informationen, Experten und Ansprechpartner können schneller gefunden werden. Mitarbeiter sollen in Micro-Blogs ihre Aktivitäten in den Projekten virtuell dokumentieren: Telefonate, erledigte Aufgaben, Fortschritt des Projekts und verabredete Termine. Jeder Arbeitsschritt ist so transparent und nachvollziehbar. “Wenn jemand erkrankte oder im Urlaub war, kann er bei seiner Rückkehr den Stand des Projektes genau nachvollziehen”, sagt Gebhardt. Auch in globalen Teams, die in verschiedenen Zeitzonen arbeiten, fällt das Arbeiten leichter. Und die Führungskräfte sind besser über den Stand der Dinge informiert und können notfalls korrigierend eingreifen. Einige Firmen, wie etwa die Deutsche Telekom, bieten ihren Mitarbeitern auf freiwilliger Basis an, auch privates oder soziales Engagement zu posten.

Die Studie ergab: Social Software hat auch Rückwirkungen auf das reale Umfeld: Unternehmen, die sie bereits nutzen, haben auch deutlich mehr Räume für Projektarbeit eingerichtet. Immerhin waren es hier 37 Prozent. Deren Gruppe misst auch, so die Studie, der Attraktivität der Arbeitsumgebung deutlich mehr Bedeutung bei. “Die virtuelle Kommunikation ersetzt bei der Mehrzahl der Nutzer nicht das persönliche Treffen”, heißt es in der Studie. Und Gebhardt bestätigt, dass die Mitarbeiter, die besser vernetzt seien, großen Wert auf physische Treffen legten.

6. Talente besser nutzen

Unternehmen können diese Social Media Plattformen auch nutzen, um Talente in ihren Firmen neu zu entdecken. Wenn Mitarbeiter Hobbies oder private Interessen posten, scheint das zunächst keinen Mehrwert zu haben. “Aber Privates und Arbeit verschmelzen im Netzwerken ohnehin schon”, sagt Gebhardt. Sie gibt auch ein Beispiel: “Wenn ein Angestellter in seiner Freizeit dauernd auf Konzerte geht, kann das für seinen Arbeitgeber Deutsche Telekom interessant sein, weil sie selbst im Musikgeschäft tätig ist. So können auch Talente jenseits der Job-Description berücksichtigt werden.” Durch diese Plattformen kann ein Unternehmen also durchaus Schätze bergen und das Wissen der Mitarbeiter auch in anderen Bereichen nutzen.

Ich-Entwicklung für Führungskräfte: Warum Reife entscheidend ist

Die Digitalisierung verändert die Unternehmens- und Personalführung. Neue Strategien fordern auch einen neuen Umgang mit Menschen. Dazu gehört mehr Teamarbeit und die Förderung von Verantwortungsübernahme. Führungskräfte sind derzeit aber kaum in der Lage, die entstehenden Herausforderungen zu bewältigen. Das liegt auch in der Tatsache begründet, dass ihre Handlungslogik sich eher darauf bezieht, Dinge richtig zu machen oder Ziele zu erreichen als Menschen zu befähigen und einzubinden. Transformation ist aber keine Sache von Zielerreichung. Checklisten-Denken hilft hier schon mal gar nicht. Vielmehr braucht man agilere Führung.

Falscher Fokus von Führungskräfteentwicklung

Schuld sind nicht die Führungskräfte, sondern Unternehmen, die Führungskräfteentwicklung auf Themen wie Führungsstil oder Kommunikation oder sogar Selbstdarstellung bezogen haben, nicht jedoch auf Denken und Werte. Viele Führungskräfte reflektieren kaum und hinterfragen sich deshalb auch nicht. Zuhören über das „Downloaden” von Informationen hinaus, ist ihnen oft ebenso fremd wie ein daraus entstehender offener Dialog ohne Ergebnis, aber dafür mit neuen Gedanken.

Gute Führung im digitalen Zeitalter hat viel mit persönlicher Reife zu tun, mit Ich- Entwicklung. Ihre Theorie der Ich-Entwicklung entwickelte die Psychologin Jane Loevinger in mehr als 40 Jahren Forschung. Sie fand Muster in ihren Daten, die darauf hindeuteten, dass persönliche Entwicklung als Prozess über verschiedene Stufen in immer gleicher Art und Weise abläuft. Meist manifestiert sich Entwicklung auf einer Stufe – und damit auch das Denken.

Postkonventionelles Denken für die Probleme

Jede Stufe hat ihre Berechtigung. Die Stufen teilen sich in einen vorkonventionellen, konventionellen und postkonventionellen Bereich. Erst im späten konventionellen und im postkonventionellen lösen sich Menschen von den Normen ihrer In-Gruppe und entwickeln eigene, davon unabhängige Werte. Man könnte auch sagen, das Denken weitet sich und bezieht mehr und mehr unterschiedliche Aspekte ein.

Postkonventionell denkende Führungskräfte stellen eher eigene Überzeugungen in Frage und sind ehrlich interessiert an anderen Gedanken, Meinungen und Ideen. Sie entwickeln ein systemisch-konstruktivistisches Verständnis. Es gibt für sie kein richtig und kein falsch, weshalb sie sich Möglichkeiten genauer anschauen und auch ungewöhnliche Perspektiven eher einbeziehen. Ihre Meinungen sind zunehmend fließend und verändern sich mit neuer Information, ohne dass das Rechtfertigungsdruck auslöst. Ambiguitäten halten Postkonventionelle gut aus. Dadurch erklärt es sich, warum Studien zeigen, dass Führungskräfte auf postkonventionellen Ebene wirksamer sind, gerade auch in Veränderungssituationen.

Weitere Ebene der Persönlichkeit

Die Ich-Entwicklung fügt Ebenen der Persönlichkeit, wie sie etwa aus den Big Five bekannt sind, eine weitere hinzu. Sie moderiert Eigenschaften und Motive und beeinflusst damit die Form, wie sie sich zeigen. Das Motiv Macht etwa kann als einfaches Dominanzverhalten interpretiert werden oder aber als Bedürfnis, auf etwas Bedeutendes Einfluss zu nehmen. Letzteres spricht für eine spätere Ich-Entwicklung.

Führungskräfte können sich in zwei Richtungen weiter entwickeln. Horizontal lernen sie neue Kompetenzen. Vertikal erweitert sich ihr Denken. Die Zahl wahrgenommener und integrierter Aspekte wird größer. Die Bereitschaft, andere einzubeziehen und nach tragfähigen übergreifenden Lösungen zu suchen, steigt. Der interpersonelle Stil ändert sich, also der Umgang mit anderen. Und mit ihr die Handlungslogik. So fragen sich die einen „tue ich die Dinge richtig?” und die anderen „tue ich die richtigen Dinge?” – für mich, die anderen, das Unternehmen und vielleicht sogar die Gesellschaft.

Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassung aus dem Buch „Agiler führen” von Svenja Hofert und wurde veröffentlicht im Blog der Huffington Post am 10. September 2016.