Warm Data

Warm Data

Nicole Werner

Facilitator

Neue Informationsformen zur besseren Bewältigung der komplexen Herausforderungen unserer Zeit 

Viele von uns wollen die Welt zum Besseren verändern. Oder wir wollen zumindest verhindern, dass es schlimmer wird. Sei es in einer Organisation oder in unserer Gesellschaft. Wir leben in einer Welt, in der sich fast alles, was wir tun um unsere Bedürfnisse zu erfüllen und unsere Träume zu verwirklichen, negativ auf unsere Umwelt auswirkt. Wie können wir mehr Teil der Lösung und weniger Teil des Problems werden?

Gegenwärtig gehört es zum guten Ton, sich individuell darum zu bemühen, den eigenen Lebensstil zu ändern, um den CO2-Ausstoß zu senken, Verschwendung zu bekämpfen und die Umwelt zu schonen. Nicht fliegen, weniger Fleisch essen, «Zero Waste» kaufen, zu grüner Energie wechseln usw. Eigene Maßnahmen ergreifen, ist die Devise. Das sind alles gute Absichten. Das ist es, was ich jahrelang tat – und ich glaubte wirklich daran, mein Bestes zu geben. Was ich tat, war vor allem Symptombekämpfung. Gut – und dennoch nicht genug. 

Was wir wirklich brauchen, ist systemischer Wandel und ein neues Bewusstsein. Und damit meine ich nicht, Politiker oder Wirtschaftsführer anzuprangern. Sie sind auch Teil dieses Systems. Wie wir alle. Sie haben gute Gründe für das, was sie tun und woran sie glauben. Wie wir alle.

Wie können wir also ein System von innen verändern? Wir sollten anfangen, es von innen heraus «transkontextuell» zu betrachten und uns nicht ausschliesslich darauf konzentrieren, es durch «objektive», quantitative Analysen verstehen zu wollen. Spätestens seit den Erkenntnissen aus der Quantenphysik wissen wir, dass die Beobachterin das beobachtete System verändert.

«Warm Data sind Informationen über die Zusammenhänge, welche die Elemente eines komplexen Systems integrieren» 

Nora Bateson (1) hat den Begriff «Warm Data» für die zusätzlichen qualitativen Daten geprägt, die wir benötigen. «Warm Data sind Informationen über die Zusammenhänge, welche die Elemente eines komplexen Systems integrieren. Sie haben die qualitative Dynamik gefunden und bieten eine weitere Dimension des Verstehens dessen, was wir aus quantitativen Daten (kalte Daten) lernen. Mit Warm Data können wir unsere Analyse anderer Informationsströme nutzen. Die Auswirkungen der Verwendung warmer Daten sind erstaunlich und können den Instrumenten der Informationswissenschaft, mit denen wir derzeit arbeiten müssen, eine völlig neue Dimension verleihen.»  

Ich hatte das große Vergnügen, Noras Studentin in einem Kurs über «Warm Data Labs» zu sein. Während dieser Zeit beschäftigten wir uns intensiv mit systemischem Denken, indem wir uns mit der Theorie befassten und in unserer Lerngruppe selber Warm Data Labs (WDL) durchführten. 

In einem dieser WDLs war unser Thema «Lernen in einer sich verändernden Welt».  Ich saß in einer kleinen Gruppe von KollegInnen, um zu entdecken, was Lernen im Kontext von «Identität» bedeutet. Für ein paar Minuten habe ich der Gruppe gezeigt, dass sich meine Identität mein ganzes Leben lang durch ständiges Lernen und Entwickeln verändert hat – und wie sehr ich es liebe, mich zu verändern. Im Anschluss erwähnte jemand in meiner Gruppe jemanden, der kurz davor steht, seine Identität zu verlieren, weil sein Beruf aufgrund einer verschärften Klimapolitik aussterben wird – ein Minenarbeiter, dessen Familie seit Generationen in Kohlenminen arbeitet. Plötzlich fühlte ich mich zutiefst berührt.

«Plötzlich wurde mir bewusst, dass meine Argumentation von meiner eingeschränkten Denkweise herrührte, die auf sogenannten “Fakten” beruhte»  

Jahrelang hatte ich mich für eine wirksame Klimaschutzpolitik eingesetzt. Stets hatte ich auch argumentiert, dass der Bergbau gestoppt und die Bergarbeiter mit Kompensationszahlungen, Umschulungen usw. entschädigt werden sollten. Ich hatte mich verantwortungs- und sozial bewusst gefühlt, da ich doch die Notwendigkeit erkannt hatte, Klimaschutz gerecht zu gestalten. In diesem Warm Data Lab wurde mir plötzlich bewusst, dass meine Argumentation von meiner eingeschränkten Argumentationsweise herrührte, die auf sogenannten «Fakten» beruhte, auf kalten Daten.  Zum ersten Mal fühlte ich – anstatt nur zu bedenken -, dass es für einen Bergmann um seine Identität geht. Ich hatte Warm Data entdeckt – und konnte meine Tränen nicht zurückhalten.

«Es bedeutet, nicht mehr als Vertreter von Interessengruppen und aus unserem eigenen Glaubenssystem heraus mit vermeintlichen Fakten zu argumentieren.» 

Damit möchte ich nicht sagen, dass wir mit dem Kohleabbau weitermachen sollten – auf keinen Fall. Was ich sagen möchte ist, dass wir das System nur von innen verändern können, wenn wir in die verschiedenen Kontexte eintauchen, uns mit Menschen und anderen Kontexten von innen verbinden. Es bedeutet, nicht mehr als Vertreter von Interessengruppen und aus unserem eigenen Glaubenssystem heraus mit vermeintlichen Fakten zu argumentieren. Soziale, politische, wirtschaftliche, Bildungs-, Umwelt- und andere Organisationen können die Welt nur zum Besseren verändern, wenn sie die Warm Data, die «Wechselbeziehungen, die Elemente eines komplexen Systems integrieren», berücksichtigen.

«Um eine Verbindung zu einem komplexen System herzustellen, ohne die Schaltkreise der Abhängigkeiten zu unterbrechen, die ihm seine Integrität verleihen, müssen wir die Verteilung der Beziehungen untersuchen, die das System robust machen. Die ausschliessliche Analyse statistischer Daten liefert Schlussfolgerungen, die auf Aktionen hinweisen können, die nicht die volle Komplexität der Situation berücksichtigen. Informationen ohne Interrelationalität führen wahrscheinlich zu falsch informierten Handlungen, wodurch weitere destruktive Muster entstehen.» (2)

Um Organisationen und unsere Welt zum Besseren zu verändern, sollten wir aufhören, Komplexität zu reduzieren und einzelne Teile des Systems zu «reparieren». Wir sollten neue Formen der Information sammeln, in tiefere Dialoge eintauchen und den Raum zwischen den quantitativen Daten zugänglich machen. Es ist nicht alles in unseren Köpfen. Wir müssen mehr über die grundlegende «Vernetzung aller Dinge» (4) lernen.

Bist Du neugierig geworden und möchtest ein Warm Data Lab in Deiner Organisation durchführen?

Wenn Du und Deine Organisation daran interessiert sind ein Warm Data Lab zu veranstalten, um Eure Bemühungen hinsichtlich sozialer, politischer, gesundheitlicher, wirtschaftlicher, erzieherischer, umweltbezogener oder sonstiger Belange besser zu informieren, wende Dich an mich, um weitere Informationen zu erhalten: nicole@unusmundus-consult.ch 

Als zertifizierte Gastgeberin für Warm Data Labs führe ich diese auf Deutsch und auf Englisch durch.

 

Quellen & Anmerkungen:
(1) Nora Bateson setzt das bemerkenswerte Erbe ihres Vaters Gregory Bateson fort, eines Pioniers des evolutionären Systemdenkens
(2) International Bateson Institute (https://batesoninstitute.org)
(3) ebd.
(4) s. Douglas Adams, Dirk Gently’s Holistic Detective Agency 

Liberating Structures in der Schweiz

Mit Liberating Structures machen Meetings wieder Spass, weil sich alle einbringen können, ohne dass Langeweile ensteht. Die aktuell 33 Liberating Structures unterstützen Gruppen dabei ihr volles Potenzial zu entfalten. Sie helfen, neuen Schwung in den Arbeitsalltag zu bringen. Ideen und Erfahrungen teilen, Situationen analysieren, Lösungen generieren, Hilfe bekommen oder anbieten, Strategien entwickeln und Pläne schmieden – mit Liberating Structures geht dies einfacher, schneller, energiereicher und effektiver.

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7 Fragen an Nicole Werner – Veröffentlich auf www.etextera.ch am 26. 6. 2018

1. Was ist für Sie wichtiger: Text oder Bild?

Texte erreichen mich meistens auf der kognitiven Ebene; Bilder haben die Kraft, meine Gefühle anzusprechen. Beides zusammen kann bei mir sehr viel auslösen – auf den Inhalt kommt es an.

2. Was bedeutet für Sie persönlich Erfolg?

Erfolg steht für mich in engem Zusammenhang mit Mut und der Bereitschaft zu scheitern. Wenn ich bereit bin, meine Komfortzone zu verlassen und mich verletzbar zu machen, entdecke ich neue Horizonte. Nicht die Eroberungen, sondern diese Entdeckungen geben mir das Gefühl, erfolgreich zu sein – beruflich und privat. Gemeinsam mit meinen Klientinnen und Klienten gehe ich stets neu auf Entdeckungsreise.

3. An welches Ereignis in Ihrer Karriere erinnern Sie sich am liebsten?

Vor vielen Jahren war ich als neue, unerfahrene Mitarbeiterin in einer Rückversicherung verantwortlich für die Datenakquise zur Berechnung von Risikozahlen. Als mein Chef in einer hektischen Phase um die aktuellen Ergebnisse bat, teilte ich ihm mit, dass mir die Daten einer Abteilung fehlten. Ohne meine Fähigkeiten oder meine Aussage in Frage zu stellen, griff er zum Telefon und bat um die Zahlen. An dieses bedingungslose Vertrauen meines Vorgesetzten erinnere ich mich bis heute. Angemerkt: Aufgrund dieser Interviewfrage habe ich mich nach Jahren mit meinem ehemaligen Chef zum Mittagessen verabredet.

4. Welches war Ihr grösster beruflicher Fehler und welche Lehre haben Sie daraus gezogen?

Ich habe viele Fehler gemacht. Weil ich daraus gelernt habe, betrachte ich sie im Nachhinein kaum mehr als Fehler. Einer meiner grössten Irrtümer war es zu glauben, Fehler vermeiden und stets kompetent erscheinen zu müssen. Diese Haltung führte mich dazu, lange als Fachexpertin zu arbeiten, bevor ich meine wahre Leidenschaft entdeckte: die Arbeit an der Entwicklung von Menschen und Organisationen.

5. Was ist Ihnen im Beruf besonders wichtig?

Es bewegt mich zu sehen, wie Menschen eine tiefere Verbindung zu sich selbst und zu anderen finden. Wenn die Mitglieder einer Gruppe in einen Modus des tiefen Zuhörens kommen, in dem sie ihre Urteile über andere und anderes parkieren. Dann gelingt es, Grenzen zu überwinden, scheinbar Unmögliches wird möglich. Menschen wachsen über ihre eigenen Vorstellungen über sich selbst hinaus. Die Bereitschaft zu lernen und die Offenheit für Neues sind dafür wichtige Voraussetzungen. Mir ist es wichtig, mich selber weiter zu entwickeln, indem ich lerne und offen bleibe für Unerwartetes.

6. Dachten Sie früher, dass Sie einmal das tun werden, was Sie heute tun?

Wenn ich das gedacht hätte, wäre ich vermutlich nicht erst Teilchenphysikerin und später Klimaexpertin geworden, bevor ich mich entschieden habe, Menschen und Prozesse zu begleiten. Ich war lange auf der Suche nach dem, wofür ich auf dieser Welt bin. Heute weiss ich, dass ich auf meinen Umwegen jene Erfahrungen gemacht habe, die mir helfen, Menschen und Organisationen erfolgreich bei ihrer Suche nach neuen Horizonten zu begleiten.

7. Welche Tipps geben Sie Berufseinsteigern?

Es gibt nur einen Weg: deinen eigenen. Frage nicht, was richtig ist, sondern was du als richtig empfindest. Höre auf dein Herz, nicht auf die Ratschläge anderer. Frage nicht, ob du kannst. Frage, ob du willst. Und bleibe stets demütig.

Zur Person
Nicole Werner ist promovierte Physikerin und hat einen Abschluss in Organisationsentwicklung und Coaching. Aktuell bildet sie sich zur Trainerin für Mindful Leadership in Organisationen weiter. Seit dem Jahr 2016 ist sie Inhaberin eines Beratungsunternehmens. Sie unterstützt Führungskräfte, Teams und Organisationen in Entwicklungsprozessen. Dazu gehören Einzel- und Teamcoachings ebenso wie das Begleiten von organisationalen Veränderungsprozessen. Zunehmend im Vordergrund stehen die Themen nächste Generation(en) und neue Organisationsformen sowie Mindful Facilitation. Nicole Werners Arbeit steht stets unter der Prämisse, dass sie nicht die beste Lösung kennt, sondern «nur» die Strukturen schafft, in denen ihre Klientinnen und Klienten selbstgesteuert ihre eigenen Lösungen co-kreieren.

Fachkräftemangel mit Vertrauen begegnen

Viele AbsoventInnen suchen nahezu verzweifelt nach Unternehmen, in denen sie ihre Kreativität und Leidenschaft initiativ einbringen können. Sie wünschen sich Arbeit, in der sie wahren Sinn erkennen. Traditionelle Organigramme und Unternehmenspolitik schrecken sie ab. Talentierte UniabgängerInnen suchen nach ArbeitgeberInnen, welche neben fachlichen Fähigkeiten auch individuelles Wachstum fördern. Unternehmen, welche diesen Trend erkennen und sich sowohl von althergebrachten Strukturen verabschieden als auch die persönliche Entwicklung ihrer Mitarbeitenden fördern, brauchen sich um Fachkräftemangel nicht zu sorgen.

Letzte Woche hatte ich die Ehre und das grosse Vergnügen, die «Ignite Bewegung» an der Universität St. Gallen kennen zu lernen. Im Rahmen der zweitägigen «Ignite Konferenz» führte ich gemeinsam mit meiner Kollegin Maggie Lu einen fünfstündigen Workshop unter dem Titel «Unveil Yourself – Ways to Personal Growth and Transformation» mit rund 100 Teilnehmenden durch.

An der mit viel Liebe und Engagement durch StudentInnen organisierten Veranstaltung begegneten mir eine Reihe hoch talentierter und inspirierender junger Menschen. Viele von ihnen stehen an einem Punkt der Selbstreflexion und Sinnsuche, von dem meine Generation im selben Alter nur träumen konnte. Woran liegt das?

Gesellschaftlicher Wandel fördert individuelle Transformation

Meine Hypothese: Mit dem raschen gesellschaftlichen Wandel der letzten Jahre haben sich auch die Individuen weiter entwickelt. Während die früheren Generationen in erster Linie arbeiteten, um Geld zu verdienen, ihre Grundbedürfnisse zu sichern, ihre Familie zu ernähren und sich allenfalls ein Haus zu kaufen, ist die neue Generation auf der Maslow-Bedürfnispyramide einige Stufen nach oben geklettert. Generation Y geht es vermehrt darum, ihre Wachstumsbedürfnisse zu erfüllen. Sie fragt nach dem Sinn ihrer Arbeit, weniger nach den zu erklimmenden Stufen der Unternehmenshierarchie. Zudem haben die digital Natives in der vernetzten Informationsgesellschaft früher gelernt, mit Widersprüchen und Paradoxien umzugehen. Eine Eigenschaft, die Menschen mit fortgeschrittenem Grad der individuellen Handlungslogik (Ich-Entwicklung) auszeichnet.

Damit meine ich nicht, dass alle Menschen der jungen Generation diesbezüglich gleich sind. Fest steht jedoch, dass die folgende Generation der Fach- und Führungskräfte zunehmend nach persönlicher Entwicklung strebt. Die letzten Gallup-Studien zeigen, dass sich Mitarbeitende immer mehr wünschen:

  1. den Sinn ihrer Arbeit zu erkennen;
  2. ihre Fähigkeiten und ihr Talent voll auszunutzen, um das Beste von sich zu geben, ohne von einem engen Handlungsrahmen begrenzt zu werden;
  3. kontinuierlich lernen zu können;
  4. neue Aufgaben zu bekommen und sich weiterentwickeln zu können und
  5. für eine Firma zu arbeiten, die ihre Kultur und ihre Werte teilt.

Gleichzeitig fordern Unternehmenschefs, die unter Fachkräftemangel leiden, vermehrt leidenschaftliche und kreative Mitarbeitende, die Initiative ergreifen. Kreativität, Leidenschaft und Initiative erfordern Freiheit und Vertrauen statt enge Handlungsrahmen. Nicht ohne Grund gibt es bei Google 20% Kreativzeit für Mitarbeitende. In dieser Zeit können sie tun und lassen, was ihnen gefällt. Laut Great Place to Work® liegt Google auf Platz 1 der beliebtesten Arbeitgeber in der Schweiz.

Unternehmerischer Wandel erfordert individuelles Wachstum

In meiner Beratungspraxis begegnen mir immer wieder Menschen, die ihren erlernten Fähigkeiten mit grosser Begeisterung und mit Engagement nachgehen möchten, durch ein enges Korsett aus Vorgesetzten und Unternehmensstrukturen jedoch demotiviert sind. Lange Dienstwege verzögern oder verhindern Entscheidungen und frustrieren Mitarbeitende in den unteren Boxen der Organigramme. Die Zeiten, als jene Fachkräfte auf der untersten Hierarchiestufe «keine Ahnung vom Geschäft» hatten und nicht entscheiden konnten, sind längst vorbei. Bei motivierten Mitarbeitenden – auch in den untersten Hierarchiestufen gibt es sie – beobachte ich entsprechend eine starke Korrelation ihrer Motivation mit dem Mass an Vertrauen, das ihnen ihre Vorgesetzten entgegen bringen sowie mit der Freiheit, die sie am Arbeitsplatz geniessen.

Manager klagen über Fachkräftemangel. Es gibt bereits eine Reihe von Unternehmen, welche sich auf den Weg gemacht haben, ihre Strukturen an die Bedürfnisse der nächsten Generation anzupassen. Dies ist ein absolut notwendiger Schritt für jene Organisationen, welche im Wettlauf um die Fachkräfte mithalten wollen. Hinreichend und damit nachhaltig wird der Wandel dann, wenn diese Unternehmen auch ihr Menschenbild verändern.

Für eine erfolgreiche Änderung der Strukturen hin zu mehr Freiheit und Vertrauen braucht es gleichzeitig das individuelle Wachstum von Mitarbeitenden und Führungskräften. Vertrauen satt Misstrauen sowie der konstruktive Umgang mit Widersprüchen und Konflikten fällt der neuen Generation leichter. Doch noch sind längst nicht alle dazu in der Lage. Zudem braucht es auch eine erweiterte Handlungslogik der erfahrenen Fach- und Führungskräfte, damit sie nicht nur fachlich sondern auch zwischenmenschlich auf Augenhöhe mit dem Nachwuchs sind.

Sebastian Schmidt, deutscher Hoteldirektor und Sprecher an der «Ignite Konferenz» sagt: «Ich brauche meinen Chef, um mich energetisch aufzuladen.» Für Organisationen, die es schaffen, dass ihre Mitarbeitenden nach einem Gespräch mit ihrem Vorgesetzten mehr Energie haben als davor, ist der Fachkräftemangel ein Schrecken mit Ende.

 

Ich-Entwicklung für Führungskräfte: Warum innere Reife entscheidend ist

Digitalisierung, Generation Y, ein globaler Arbeitsmarkt und vieles andere verändern die Unternehmens- und Personalführung. Neue Strategien fordern auch einen neuen Umgang mit Menschen und neue Führungsmodelle. Ein Trend ist die Einführung von Agilität in Unternehmen. Die persönliche Reife (Ich-Entwicklung) von Führungskräften und Mitarbeitenden ist entscheidend für eine erfolgreiche Umstellung auf agile Führung und selbstgesteuerte Teams.

Agilität erfordert Methoden und fordert Menschen

Organisationen und HR-Abteilungen beginnen häufig mit der Einführung von agilen Methoden und Tools, um selbstgesteuerte Teams zu fördern. Zunehmend geschieht dies auch ausserhalb von IT-Abteilungen. Vergessen geht häufig, dass das agile Manifest den menschlichen Faktor vor die Methoden stellt. Dort heisst es «Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen und Werkzeugen». Im Klartext heisst das «People over Process».

Unternehmen konzentrieren sich heute oft auf die Einführung von agilen Methoden wie Scrum, Kanban, Design Thinking etc. und fokussieren damit auf Fähigkeiten und Kompetenzen, «Process over People». Albert Einstein sagte einmal «Es ist verrückt, die Dinge immer gleich zu machen und dabei auf andere Ergebnisse zu hoffen». Die komplexe Arbeitswelt 4.0 erfordert es, die Dinge anders zu tun und die Entwicklung der beteiligten Menschen zu fördern. Damit ist nicht das klassische Führungskräftetraining gemeint, das sich auf Skills und Kompetenzen wie Führungsstil, Kommunikation, Auftrittskompetenz und dergleichen bezieht. Gemeint ist ein holistischer Ansatz der Persönlichkeitsentwicklung, die das Denken und die Werte der Menschen mit einbezieht. Die Förderung der Fähigkeit zu Selbstreflexion, empathischem Zuhören und offenem Dialog sind hier zentral.

Aus Erfahrung wissen wir, dass die Entwicklung der Selbstführung, Selbstreflexion und Selbst-Bewusstheit in klassischen Trainingsprogrammen an ihre Grenzen stösst, da in vielen Trainingsprogrammen die Entwicklung des Selbst zu wenig vom Erlernen von Fähigkeiten unterschieden wird.

Während beim Erlernen von neuen Fähigkeiten das «WAS» unseres Denkens erweitert wird, also der Inhalt unseres kognitiven Wissens zunimmt, ändert sich bei der Selbst-Entwicklung das «WIE» unseres Denkens. Lernen, auch horizontale Entwicklung genannt, passiert, indem wir uns neue „Tools“ aneignen, weiteres Wissen anhäufen oder uns neue «Skills» aneignen. Hingegen bedeutet vertikale Entwicklung der Persönlichkeit oder auch Ich-Entwicklung, dass sich unsere ganze Sichtweise verändert, sie umfassender, tiefer und flexibler wird. Dadurch können wir auch anders mit Herausforderungen umgehen.

Die Rolle der Ich-Entwicklung

Führung im komplexen Zeitalter der Digitalisierung erfordert persönliche Reife. Diese manifestiert sich in der Ich-Entwicklung. Die Psychologin Jane Loevinger erforschte während mehr als 40 Jahren die Ich-Entwicklung von Menschen und fand dabei in ihren Daten, dass persönliche Entwicklung über verschiedene Stufen abläuft. In Ihrer Arbeit entwickelte Loevinger einen ersten Test zum Messen der persönlichen Reife. Je nach Entwicklungsstufe folgt der Mensch einer anderen inneren Handlungslogik, welche sich auch im Denken und im Umgang mit anderen Menschen manifestiert.

Die Stufen teilen sich in einen vorkonventionellen, konventionellen und postkonventionellen Bereich. Erst im späten Konventionellen und im Postkonventionellen lösen sich Menschen von den Normen ihres sozialen Umfeldes und entwickeln eigene, davon unabhängige Werte. Ihr Denken weitet sich und bezieht mehr und mehr unterschiedliche Aspekte und Perspektiven ein. Mit jeder weiteren Entwicklungsstufe billigt ein Mensch der Aussenwelt mehr Eigenständigkeit zu. Damit erhöhen sich auch die eigenen Freiheitsgrade, was tendenziell zu grösserer Gelassenheit führt.

Wirksamer führen durch postkonventionelles Denken

Menschen auf den postkonventionellen Stufen stellen zunehmend eigene Überzeugungen in Frage und sind ehrlich interessiert an anderen Gedanken, Meinungen und Ideen. Sie bewerten weniger und teilen nicht mehr in richtig und falsch ein. Dies ermöglicht es ihnen, auch ungewöhnliche Perspektiven und mehr Möglichkeiten einzubeziehen.

Weil ihre eigene Meinung fliessender wird und sich mit neuen Informationen verändern kann, können Menschen auf den postkonventionellen Stufen andere Meinungen besser integrieren, ohne in die Verteidigung oder Rechtfertigung der eigenen Ansichten zu gehen. Dadurch sind sie in der Lage, wichtige Beiträge zur Weiterentwicklung von Systemen und Menschen zu leisten. Sie begrüssen Unterschiede und Veränderung statt, wie in den Stufen zuvor, Ähnlichkeiten und Stabilität in den Vordergrund zu stellen. Dies erklärt auch, warum Führungskräfte auf postkonventionellen Stufen gerade auch in Veränderungssituationen wirksamer sind, wie verschiedene Studien belegen.

Wer Agilität im Unternehmen erfolgreich einführen möchte, sollte sich daher nicht auf die Einführung von Tools und Methoden beschränken, sondern parallel dazu die Persönlichkeitentwicklung seiner Mitarbeitenden und Führungskräfte fördern.

Mit dem I-E-Profil™ lässt sich die Ich-Entwicklungsstufe von Menschen bestimmen. In einem gezielten Coaching kann diese persönliche Entwicklung gefördert werden – Voraussetzung dafür ist die eigene Offenheit und der Wille zu persönlicher Entwicklung.